Gesellenstück

Zwei auf eins
Zwei auf eins
Mit meinem Gesellenstück
Mit meinem Gesellenstück

Ich lernte ein Handwerk. Aber das schien mir nicht klar zu sein, denn ich hatte Angst, mich zu verhauen. Das ist heute noch so. Dabei weiß ich inzwischen, daß ich eine Skulptur, also ihre Formen und deren Zusammenspiel, erst dadurch verstehe, daß ich sie schnitze oder drechsle.

Während der Lehre kopierten wir, die Lehrlinge, hauptsächlich die Arbeiten unserer beruflichen Vorfahren, weshalb wir auch regelmäßig durch Münchens Kirchen spazierten. Ich bin nur einmal wirklich fertig geworden. Das war ein Putto. Er sah ungefähr so aus (da wir unsere Übungs-Stücke abgeben mußten, kann ich hier kein anderes Foto zeigen).

Unser Gesellenstück durften wir selbst entwerfen. Hurra! Allerdings fiel es mir nicht leicht, herauszufinden, was ich machen möchte. Mein Vater bot mir an, mir aus Wismar drei alte Bohlen nach München zu bringen. Er hatte dort mit dem Umbau eines mittelalterlichen Hauses zu tun. Damit war zumindest die Holz-Frage geklärt.

Die Bohlen sahen toll aus, wunderschön gealtert sozusagen. Sie waren ziemlich breit – die Eiche, aus der sie stammten, war bestimmt dreihundert Jahre gewachsen, bevor sie gefällt wurde. Die Meister rieten mir (eine Bohle ist ein dickes Brett) zu einem Relief. Ich war still. Ich konnte mir nicht vorstellen, die Bohlen nur als Material zu benutzen oder etwas anderes aus ihnen zu machen, sie zu zerstören.

Als Hartmut, ein Freund und Künstler, der mich gerade aus Berlin besuchte, die drei "Dinosaurier" sah, bekam er einen besorgten Blick und sagte so etwas wie, daß sie den Rahmen eines Gesellenstücks sprengen würden. Ich wunderte mich darüber, denn ich sah kein Problem. Ich hatte die Herausforderung bereits angenommen, ohne zu wissen, daß es eine ist. Im Grunde dachte ich gar nicht mehr an ein Gesellenstück.

Die Wochen vergingen. Von außen betrachtet passierte nichts. Ich steckte in meinem Kopf. Mein Prozeß war unsichtbar. Ich muß arrogant rübergekommen sein und ein bißchen war ich das auch, diese jugendliche Arroganz ...

Frau Koop
Frau Koop

Am Tag der Präsentation der Entwürfe war die Kommission auf ein Relief eingestellt. Mir war die Zeit weggelaufen. Deshalb steckte meine Idee in einem schlechten Modell. Ich dachte, es reicht. Sie sehen ja die Bohlen. Nope. Mein Entwurf: Zwei Bohlen auf eine Bohle oder auch zwei Körper, die einen dritten unter sich halten, wurde abgelehnt. Bum.

Mit dem ersten Gefühl wollte ich auf und davon. Doch die Lehrerinnen Barbara Quintus und Angela Koop ließen mich nicht im Stich. Frau Quintus schlug mir vor, ein Porträt zu modellieren und Frau Koop war bereit, mir Modell zu stehen. Frau Koop war unsere Kalligraphie-Lehrerin. Sie hatte in Hamburg eine Steinmetzlehre gemacht und hier, an dieser Schule, ihren Meister. Jeden Montag stellte sie im „Skriptorium“ Kaffee und Kekse für uns bereit.

Wir waren ganz allein in der Schule. Alle anderen waren in den Osterferien. Sie stand vor mir. Ich habe sie angesehen und dann wieder den Kopf vor mir. Ich kann mich nicht an ein Gespräch erinnern. Sie hatte immer einen Rosenkranz dabei. Wir waren ihre letzte Klasse. Sie lebte dann, bis sie gestorben ist, als Einsiedlerin.

Foto-Serie: © Bernhard Ilzer